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Pflanzenschutz – Einsatz beim Bauern (Teil 1)

Gleiche Wirkstoffe in der Landwirtschaft und Privatgebrauch

Jörg Beck vom Schweizer Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences erklärt, wie Pflanzenschutzmittel entstanden sind.
Jörg Beck ist Leiter Ernährung und Agrar bei scienceindustries. Scienceindustries ist der Schweizer Wirtschaftsverband für Chemie Pharma Life Sciences. Jörg Beck erklärt im Interview, wie Pflanzenschutzmittel entstanden sind und wie sie sich über die Jahre verändert haben. 

Seit wann gibt es Pflanzenschutzmittel (PSM)?  

Schon in der Antike verwendeten Menschen natürliche Substanzen wie Schwefel gegen Pilzbefall. Im alten China und in Ägypten wurden pflanzliche Extrakte oder Asche verwendet, um Schädlinge zu bekämpfen. Im 18. Jahrhundert begann man, mineralische Stoffe wie Kupfersalze zu nutzen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Bordeauxbrühe (Kupfersulfat + Kalkmilch) gegen den Mehltau in Weinreben eingesetzt – eines der ersten gezielt entwickelten Pflanzenschutzmittel. Mit der Entwicklung der organischen Chemie wurden ab den 1940er Jahren synthetische Pflanzenschutzmittel wie DDT eingesetzt. Diese Mittel waren sehr wirksam, aber auch umwelt- und gesundheitsschädlich, was später zu vielen Regulierungen führte.  

Heute gibt es eine Vielzahl von chemischen und biologischen Pflanzenschutzmitteln. Der Trend geht zunehmend zu integriertem Pflanzenschutz und biologischen Alternativen, um Umweltschäden zu reduzieren. 

Weshalb brauchen wir Pflanzenschutzmittel?  

Sicherung der ErnteOhne Pflanzenschutzmittel könnten grosse Teile der Ernte durch Insekten, Pilzkrankheiten oder Unkrautkonkurrenz verloren gehen. Weltweit gehen schätzungsweise 20–40 % der landwirtschaftlichen Produktion jährlich durch Schädlinge verloren – trotz Einsatz von Schutzmassnahmen.
Wirtschaftliche BedeutungFür Landwirt:innen bedeutet ein Schädlingsbefall oft finanzielle Verluste. Pflanzenschutzmittel erhöhen die Ertragssicherheit und die wirtschaftliche Tragfähigkeit.
Qualität der LebensmittelViele Krankheiten oder Schädlinge beeinträchtigen nicht nur den Ertrag, sondern auch die Qualität der Ackerfrüchte. Damit kann die Marktfähigkeit eingehalten und die Haltbarkeit der Produkte verlängert werden, was wiederum wichtig im Kampf gegen Food-Loss ist.
ErnährungssicherheitDer Pflanzenschutz ist ein wichtiger Pfeiler der Ernährungssicherheit auf einem Planeten, der über 8 Milliarden Menschen ernähren muss, bei schwindenden landwirtschaftlichen Nutzflächen. 
Umwelt und RessourcenPflanzenschutz ist auch Ressourcenschutz denn höhere und sichere Erträge auf weniger Flächen schont die wertvollen naturnahen Biodiversitätsflächen.
Grundsatz des PflanzenschutzesSo wenig wie möglich, so viel wie nötig. Dieses Prinzip wird im integrierten Pflanzenschutz umgesetzt.

Wie haben sich PSM über die Jahre/Jahrzehnte verändert?  

Von natürlichen zu synthetischen StoffenSchwefel, Asche, Pflanzenextrakte – also natürliche Mittel. Ab 1940er Synthetische PSM wie DDT oder Lindan – sehr wirksam, aber problematisch für Umwelt und Gesundheit. Heute: Immer gezieltere Wirkstoffe, oft mit geringerer Dosierung nötig und schneller abbaubar. 
Wachsendes Bewusstsein für Umwelt- und GesundheitsfragenIn den 1970er/80er Jahren wurde klar: Einige PSM sind giftig für Tiere, Menschen und Ökosysteme. Viele Wirkstoffe wurden daraufhin verboten oder streng reguliert (z. B. DDT, Glyphosat in Diskussion). Die Umweltanalytik hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Es können geringste Spuren von Stoffen nachgewiesen werden. Seit die Nachweisgrenze gesunken ist, lassen sich in praktisch allen Umweltkompartimenten Substanzen und Abbauprodukte (Metaboliten) aus menschlichen Aktivitäten nachweisen. Das jüngste Beispiel ist der Nachweis von PFAS überall auf dem Planten. Parallel zur Analytik wird verstärkt über die Risikobeurteilung, Vermeidung, Anpassung und Sanierung von besonders stark belasteten Standorten diskutiert.
Gezielter und intelligenter EinsatzModerne Pflanzenschutzmittel wirken sehr selektiv gegen ganz bestimmte Schädlinge in ganz bestimmten Kulturen, ohne Nützlinge (z. B. Bienen) zu schädigen. Die Menge der von den Landwirten verwendeten Wirkstoffe ist heute um etwa 95 % geringer als in den 1950er Jahren. Dabei kann die Digitalisierung und Roboterisierung mit Drohnen, Sensoren, Wetterdaten helfen, den richtigen Zeitpunkt für die Anwendung zu finden → weniger Mittel, bessere Wirkung. 
Mehr biologische Alternativen

Der biologische Pflanzenschutz hat sich in den letzten 50 Jahren stark weiterentwickelt insbesondere beim Einsatz von Nützlingen (z. B. Marienkäfer gegen Blattläuse), Mikroorganismen, Pilze, Viren als natürliche «Waffen» gegen Schädlinge oder Pflanzenstärkungsmittel und biologische PSM. Die sogenannte Verwirrungstechnik mit Hilfe von Pheromonen erwies sich als wirkungsvolles Instrument gegen Insektenschädlinge.  

Guter und wirkungsvoller Pflanzenschutz beruht auf der Berücksichtigung der Prinzipien der guten landwirtschaftliche Praxis mit Einbezug der Bodengesundheit, Fruchtfolge und angepasster Kulturen. Der integrierter Pflanzenschutz (IPS) kombiniert die verschiedenen agrarischen präventiven Massnahmen zur Stärkung der Pflanzengesundheit und Resilienz mit den Zielen Nachhaltigkeit und langfristige Bodengesundheit. 

Strengere Zulassungsverfahren

Das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmitteln wird laufend den neusten Wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Aus Versäumnissen der Vergangenheit wurden die richtigen Schlüsse gezogen und die Zulasssungsbestimmungen für PSM werden laufend verschärft. Zudem erfolgt eine regelmässige Überprüfung bereits zugelassener Wirkstoffe aufgrund der neusten Wissenschaftlichen Erkenntnissen.  

Das hat zur Folge, dass der Forschungs- und Entwicklungsaufwand für neue Wirkstoffe enorm zugenommen haben. Die Entwicklung eines neuen Wirkstoffes bis zur Marktreife dauert rund 15 Jahre bei Kosten von rund 300 Mio. Franken. Neue Wirkstoffe unterlaufen strengen Tests unter anderem zu Phytotoxitiztät, Umweltverträglichkeit, Wirkung auf Nichtzielorganismen, Abbauverhalten, Rückstände in Boden, Wasser und Luft, Rückstände in Lebensmitteln, usw. 

Zurzeit werden mehr Wirkstoffe vom Markt zurückgezogen, als neu bewilligt werden. Das führt zu bedenklichen Lücken im Pflanzenschutz, welches sich in den kommenden Jahren akzentuieren wird und mittelfristig die Produktionssicherheit in der Schweiz und Europa gefährdet. 

Wenn man auf die letzten 30 Jahre zurückschaut, würde man in der Entwicklung von PSM etwas anders machen?  

Diese Fragen kann ich nicht beantworten. Persönlich bedauere ich es, dass die Diskussion um den Schutz der Kulturen oft eine idiologische Färbung annimmt und potentielle Instrumente zum vorneherein ausgeschlossen werden. Die Forschung und Entwicklung in Bereich Resistenzzüchtung, Biologicals, Precision Farming, etc. können einen wichtigen Beitrag leisten sowohl im integrierten Pflanzenschutz wie auch bei der Schonung naturnaher Flächen. Stattdessen läuft bereits wieder eine Kampagne gegen die neuen Züchtungsverfahren mit dem Argument, Bio-Landwirtschaft könne die Welt ernähren. Schön wäre es, die Realität sieht anders aus.  

Pflanzenschutzmittel, Pestizide, Hilfsstoffe... ist das alles dasselbe?  

Die Begriffe unterscheiden sich in der Bedeutung.  

PflanzenschutzmittelBezeichnen Mittel zum Schutz von Pflanzen gegen Pilze (Fungizid), Unkräuter (Herbizide) und Insekten (Insektizide). Pestizide umfasst alle Mittel zur Bekämpfung von Schadorganismen, also auch im Hausgebrauch. 
HilfsstoffeSind selbst nicht wirksam gegen Schädlinge, aber helfen dem Produkt, besser zu funktionieren wie zum Beispiel bessere Haftung an der Pflanze, längere Haltbarkeit, gleichmässige Verteilung beim Spritzen, usw. 
Wirkstoffe

Der eigentliche chemische oder biologische Bestandteil, der wirkt. In einem Fungizid steckt der Wirkstoff «Azoxystrobin» – der tötet den Pilz.  

Der Wirkstoff kann für verschiedene Anwendungen und Produkte verwendet wie zum Beispiel in fäulnishemmender Wandfarbe, Bootanstriche oder eben als Fungizid im Pflanzenschutz. 

Ein Produkt, welches einen zugelassenen Wirkstoff enthält, wird von der Aufsichtsbehörde auf die Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt überprüft. Je nach gesetzlichen Bestimmungen wird das Produkt mit spezifischen Sicherheitsauflagen zugelassen. 

Begriffe wie Gen-Tech, Gen-Editing, Zucht, Stimulantien, Biologicals sind in aller Munde. Braucht es noch Pflanzenschutzmittel?  

Wie bereits erläutert, braucht es alle Instrumente für einen umfassenden und nachhaltigen Pflanzenschutz: Die Stärkung der Pflanzengesundheit durch die Förderung der Bodenaktivitäten und optimierte Fruchtfolgen, Nützlingsförderung, Einsatz von Verwirrungstechnik und mechanischem Pflanzenschutz, gezielte Entwicklung standortangepasster und krankheitsresistenter Kulturen, die Verbesserung und Vernetzung der Präventionsmodelle mit Hilfe der KI, Einbindung der Ferndiagnostik mit Hilfe von Satellitendaten und Bodenanalyse, Einsatz von Robotertechnik für die präzise Applikation von Pflanzenschutzmitteln, usw. 

Der Schutz der Kulturen ist eine Verbundaufgabe und enorm komplex. Unsere Firmen arbeiten mit Hochdruck an der Weiterentwicklung des integrierten Pflanzenschutzes mit dem Anspruch, mit einer «naturpositiven Landwirtschaft» das Produktionsniveau mit integrierten Methoden mindestens auf dem heutigen Niveau zu halten und positive Umwelteffekte zu erzielen. 

Pflanzenschutzmittel stehen oftmals in der Kritik, woher kommt dieser schlechte Ruf?  

Wie bereit weiter oben ausgeführt, wurde der Umweltwirkung von Pflanzenschutz lange Zeit zu wenig Beachtung geschenkt. Die Industrialisierung der Gesellschaft und der landwirtschaftlichen Produktion Mitte des letzten Jahrhunderts führte zu einer Mechanisierung und Standardisierung der Prozesse bei gleichzeitig steigenden Anforderungen des Marktes und der Konsumenten an Uniformität der Nahrungsmittel bei gleichzeitig günstigen Preisen. Dank der Züchtung von Hochleistungssorten, dem Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln konnte die stark wachsende Nachfrage gedeckt werden.  

Die später einsetzende Erkenntnisse zu den schädlichen Auswirkungen von PSM auch auf nicht-Zielorganismen führte zu einer Reihe von öffentlichkeitswirksamen Skandalen, welche den Ruf des chemisch-synthetischen Pflanzenschutzes dauerhaft beschädigten. Der Tiefpunkt war der Chemieumfall in Bhopal. Die Industrie erkannte den Handlungsbedarf und setzte neue Standard bezüglich der Eigenverantwortung der Industrie gegenüber der Gesellschaft mit dem Responsible Care Programm.

Welche Herausforderungen beschäftigen Sie aktuell?  

Forschung und Entwicklung sind von den hohen Anforderungen an neue Wirkstoffe herausgefordert. 

Die Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln ächzen unter der administrativen Last und den langen Bearbeitungsfristen der Zulassungsgesuche durch die Behörde, die gut und gern zwischen 3 und 12 Jahre dauern. 

Rückzüge von Wirkstoffen werden wegen des Zulassungsstaus nicht durch moderne Produkte ersetzt. Der Landwirtschaft gehen die Schutzmöglichkeiten aus und gewisse Kulturen könne nicht mehr angebaut werden. Das Resistenzmanagement funktioniert nicht mehr. 

Die Skandalisierung durch die Medien im Bereich Gewässerschutz, Neue Züchtungsverfahren, Beschleunigung des Zulassungsverfahrens, etc. erschwert eine sachliche Diskussion.

Sind die Wirkstoffe der Landwirtschaft identisch mit jenen im Privatgebrauch?  

Die Wirkstoffe schon, die Produkte nicht. Privatgebrauch sind Produkte für die nicht-berufliche Anwendung und werden entsprechend anders formuliert und in den Handel gebracht. Eine berufliche Anwendung unterliegt viel strengeren Vorschriften. 

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